20. April 2022
Ich bin ein Freak in Hinblick auf das Altgriechische und die hellenistische Götterwelt. Deswegen liebe ich auch Madeleine Millers Romane und war entsprechend begeistert, als ich «Ich, Ariadne» von Jennifer Saint entdeckte. Auch sie wagt sich an eine Neuinterpretation der griechischen Sagen- und Götterwelt und berichtet aus der Perspektive einer Frau. Ariadne ist den meisten wohl bekannt als die Frau mit dem Wollknäuel, die ihrem Geliebten Theseus die Flucht aus dem Labyrinth des Minotaurus auf Knossos ermöglichte. Vielleicht kennt manche/r auch das Bild der «Ariadne auf Naxos». Aber wer genau war Ariadne? Was dachte, fühlte und wünschte sie sich? Jennifer Saint versucht, sich in Ariadne und auch in deren Schwester Phädra hineinzuversetzen und entfaltet vor uns, gleich einem kunstvoll gewebten Wandteppich, das Bild einer Frau, deren Herkunftsfamilie und eigenes Leben stets zum Spielball der launischen Götterwelt auf dem Olymp wird. Ariadnes Familie ist gestraft mit ihrem Bruder Minotauros, der halb Mensch halb Stier, sein trauriges Dasein zum Zwecke des Machterhalts seines despotischen Stiefvaters Minos im Labyrinth unter dem Palast fristen muss. Jedes Jahr muss Athen 14 junge Menschen als Tribut an Minos senden, die dem blutrünstigen Stiermenschen zum Frass vorgeworfen werden.
Ariadne und ihre Schwester Phädra, die beiden kretischen Prinzessinnen, hassen ihren Vater für seine Grausamkeit. Als Theseus, der athenische Königssohn und Held, die Ermordung des Minotaurus plant, sind die Schwestern ihm nur allzu gerne dabei behilflich. Und beide verlieben sich in ihn. Theseus verspricht Ariadne die Ehe und flieht nach dem Tod des Stiermenschen mit ihr auf seinem Schiff nach Athen. Auf der Insel Naxos machen sie Zwischenstation. Doch als Ariadne am nächsten Morgen erwacht, muss sie feststellen, von Theseus betrogen und missbraucht worden zu sein: Er ist mit seiner Mannschaft davongesegelt und hat sie zum Sterben allein auf der unbewohnten Insel zurückgelassen... Natürlich ist das nicht das Ende der Geschichte, doch wie es weitergeht, wird an dieser Stelle nicht verraten.
Meine Meinung:
Mir hat an diesem Buch besonders gut gefallen, dass Jennifer Saint Ariadne als nachdenkliche und empfindsame Frau schildert, die erkennt, dass «Ungeheuer» oftmals erst durch die Masslosigkeit der vermeintlichen Helden oder Götter erschaffen wurden. Minotaurus etwa zahlt für die Verirrung seiner Mutter, Medusa war einst eine Schönheit und wird dafür mit Hässlichkeit bestraft. Gekonnt verbindet die Autorin die Schicksale und Erzählungen der unterschiedlichsten griechischen Sagengestalten miteinander und lässt uns auch Dionysos und seinen fragwürdigen Kult, den Baumeister Daedalos (und seinen Sohn Ikaros) oder Hippolytos, der bei den Amazonen aufwuchs, kennenlernen. Den Dreh- und Angelpunkt der Erzählung bildet die Beziehung der beiden Schwestern Ariadne und Phädra. Beide berichten im Wechsel von ihren Gefühlen und Eindrücken. Jede versucht auf die ihr eigene Weise, ein erfülltes und von den Männern unabhängiges Leben zu führen. Aber beide zahlen einen hohen Preis dafür.
Fazit:
Wer «Ich bin Circe» oder «Das Lied des Achill» von Madelaine Miller mochte, wird dieses Buch bestimmt auch gerne lesen. Mir hat es auf jeden Fall sehr gut gefallen und ich möchte endlich einmal wieder nach Kreta und Knossos reisen! Und das Cover des Buchs ist natürlich auch wunderschön.
Informationen zum Buch:
Ich, Ariadne • Jennifer Saint • List Verlag • 2. Auflage 2021 • 416 Seiten • ISBN 978-3-471-36025-5
Roman