Vom Aufstehen - Ein Leben in Geschichten

Helga Schubert


4. Mai 2021

INHALT:

 

"Immer will ich alles zusammenhalten und nichts auseinanderfallen lassen."

 

In ihrem im März 2021 im dtv Verlag erschienenen Buch «Vom Aufstehen» erzählt die 1940 geborene Schriftstellerin Helga Schubert ihre Lebensgeschichte. Dabei ist dieses Buch kein Roman, sondern ein Erzählband: 29 Momentaufnahmen aus ihrem Leben hat sie aneinandergereiht. Jede ist für sich lesbar, im Stil unterschiedlich, immer jedoch auf den letzten, prägnanten Satz hinauslaufend, zugleich aber auch mit der vorigen und den nachfolgenden verknüpft. So ergibt sich ein zusammengehöriges Ganzes und aus der Rückschau ein Lebensbild. Helga Schuberts Leben beginnt in Berlin, der Vater fällt im Zweiten Weltkrieg. Mit fünf Jahren muss sie mit ihrer Mutter vor der Roten Armee fliehen und verliert dabei beinahe ihr Leben. Danach wächst sie in Ostberlin heran, sieht den Mauerbau, verbringt ihr Leben als Psychologin und Schriftstellerin in der DDR und erlebt schliesslich die Wende unmittelbar mit. Heute wohnt sie mit ihrem Mann in einem kleinen Dorf an der Ostsee.

 

 

Dies sind die äusseren Eckpfeiler ihres Lebens. Im Inneren ist es geprägt durch seelische Verletzungen, vor allem herbeigeführt durch eine nicht berechenbare und distanzierte Mutter, die sich jedoch bis ins hohe Alter immer wieder und weiterhin konkurrierend in Helga Schuberts Privatleben drängt und übrigens auch wollte, dass sie über sie, die Mutter, ein Buch schreibt. Das hat die Tochter nun getan.

 

MEINE MEINUNG:

 

«Vom Aufstehen» ist ein sehr persönliches Buch einer Frau, deren Leben jedoch auch exemplarisch für die Erlebnisse und Erfahrungen vieler anderer Menschen ihrer Generation stehen kann. Neben der reinen Erzählung ist dieses Buch auch Reflexion über grosse Fragen des Lebens: Wie kann man in einer Diktatur so leben und überleben, dass man vor sich selbst und anderen bestehen kann? Kann man sich mit seiner Vergangenheit versöhnen und den Menschen, die einem Böses angetan haben, je vergeben? Wie gelingt es, das Gegenüber so anzunehmen, wie es ist, auch wenn dies schwerfällt?

 

 

 "Ostersonntag passiert alles, was ich inzwischen vom Leben verstanden habe: Wie schnell sich das Schicksal für einen Menschen ändert, dass man verraten werden kann. Dass es immer unvermuteten Beistand gibt und einen Ausweg. An diese Hoffnung will ich erinnert werden. Einmal im Jahr."

 

 

Schnell merkt man: Helga Schubert ist nicht loslösbar von ihrem Glauben als evangelische Christin. In der DDR war die Kirche ihr Rückzugsort, Gegenpol und Oase inmitten von Zensur, Bespitzelung und Machtdemonstrationen durch einen totalitären Staat. Durch Vorträge, Teilnahme an friedlichen Demonstrationen und das mutige Einstehen für freie Meinungsäusserung hat Helga Schubert an der Seite der PastorInnen und anderer ChristInnen mitgeholfen, dass die Mauer fiel.

 

Im Privaten ist es ihr durch ihren Glauben gelungen, der Mutter schliesslich zu vergeben und ihr für das zu danken, was «gut» war. Etwa die Klarheit und den Weitblick in politischen Dingen oder die Vermittlung von Bildung und Kultur.

 

«Vergebung» und «Die Suche nach Geborgenheit», sind für mich daher die beiden Themen, die dieses Buch dominieren. Die Autorin strahlt dabei auf der einen Seite eine grosse Ruhe und Abgeklärtheit aus. Ohne das Schwere in ihrem Leben (oder auch im Leben anderer, etwa der Nachbarn im Dorf) zu leugnen, gelingt es ihr, sich den Blick für das Positive zu bewahren und immer auch das Schöne, das Besondere im Alltäglichen zu sehen.

 

Auf der anderen Seite sehe ich eine zuweilen melancholische Frau, die sich, verständlicherweise, nach Geborgenheit und Verlässlichkeit sehnt. Danach, selber ausruhen zu dürfen und nicht alles managen zu müssen. Vielleicht kommt ihr auch deswegen der «Altweibersommer» so entgegen. Wenn es kühler wird und die Luft klarer, wenn die Natur sich zurückzieht und still wird, dann ist die Zeit, an der man selber ausruhen kann und sagen darf: «Alles gut.»

 

FAZIT:

 

"Vom Aufstehen" ist ein persönliches und berührendes Zeit - Zeugnis, dessen Lektüre ich sehr empfehlen kann. Einige (auch kritische) Anmerkungen und Fragen in Hin- und Rückblick auf das Leben in der DDR-Diktatur sind bei mir nach dem Lesen zurückgeblieben. Diese gilt es jedoch als Leserin und Nichtbetroffene meiner Meinung nach auszuhalten und eher zurückhaltend zu stellen.

 

5 / 5

 


 

Informationen zum Buch:

 

Vom Aufstehen - Ein Leben in Geschichten • Helga Schubert • dtv Verlag • 1. Auflage 2021 • 224 Seiten • ISBN   978-3-4232-8278-9

 

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